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08.12.2025 |

Der erschöpfte Athlet

Ein Beitrag von Dr. Jens Freese, Sport- und Ernährungsimmunologe.

UNSER GEHIRN – DIE KOMMANDOZENTRALE DES STOFFWECHSELS 

 

Wer regelmäßig intensiv oder ausdauernd trainiert, der kennt das aufkeimende Ermüdungsgefühl. In der englischen Fachliteratur wird dieses Phänomen als Exercise-induced Fatigue bezeichnet und die chronifizierte Form ist im Sport auch als Übertraining oder Under performance-Syndrom bekannt. Lange wurde die Muskulatur und das dort produzierte „böse“ Laktat als Ursache für den Leistungseinbruch betrachtet. Heute weiß man, dass neben der Muskulatur der Gehirnstoffwechsel eine zentrale Rolle in diesem komplexen, zum Teil noch unerforschten Prozess spielt. Von daher ist es im Sinne der Leistungsoptimierung nicht mehr zeitgemäß, beide Komponenten der trainings induzierten Erschöpfung getrennt voneinander zu betrachten. 

Laktazide Trainingsbelastungen provozieren eine wechselseitige Energiebereitstellung zwischen Gehirn und Muskulatur. Dabei verwerten die Nervenzellen im zentralen Nervensystem das im Muskel produzierte Laktat, anstatt (wie in Ruhe) auf die im Blut zirkulierende Glukose zurückzugreifen. Auf diese Weise steht die mobilisierte Glukose bei intensiven Belastungen primär der arbeitenden Muskulatur zur Verfügung, während sich das Gehirn überbrückend mit Laktat und/oder Ketonen versorgt. Diese Energieverteilung verdeutlicht, dass die sportliche Leistungsfähigkeit maßgeblich durch das Gehirn gesteuert wird. Erschöpfung wirkt in diesem Zusammenhang wie eine Art Schutzmechanismus, um den Organismus vor lebensbedrohlichen Überlastungen zu bewahren. 

MECHANISMEN DER ZENTRALEN ERMÜDUNG 

Das Gefühl von Tagesmüdigkeit empfinden nicht nur Sportler, sondern auch Menschen, die an akuten und chronischen Erkrankungen wie zum Beispiel einem schweren Infekt oder Long Covid leiden. Die globalen Mechanismen zwischen Nerven-, Hormon- und Immunsystem sind vergleichbar. Im Sport steigt abhängig von der Intensität während körperlicher Belastung die Konzentration sogenannter freier Radikale in Geweben mit hoher Stoffwechselaktivität exponentiell an. Freie Radikale sind hochaggressive Moleküle, die unter anderem Zellmembranen schädigen können. Dadurch werden Mikroentzündungen in der Muskulatur provoziert. Hohe Konzentrationen freier Radikale stehen in direktem Zusammenhang mit einer verzögerten Erholung nach Belastungsende und einer verminderten Leistungs fähigkeit in der nachfolgenden Trainingseinheit. Da auch andere Entzündungsmarker stark ansteigen können, wie zum Beispiel Interleukin-6 (IL-6), spricht man auch von einem sportinduzierten Systemic Inflammatory Response Syndrome (SIRS). IL-6 ist ein Entzündungsbotenstoff, dessen Konzentration auch bei einer Infektion massiv in die Höhe schnellt. Schon eine geringe Dosis verstärkt das Erschöpfungsgefühl in Ruhe und beeinträchtigt die körperliche Leistungsfähigkeit. Dies führt letztendlich zu einer Abnahme kognitiver Fähigkeiten und Demotivation – Faktoren, die auch eine Depression charakterisieren. 

ENERGIE UND LEISTUNGSFÄHIGKEIT 

Trainingsbelastungen erhöhen die Nervenzellaktivität im Gehirn. Der gesteigerte Energiebedarf der Neuronen wird je nach Intensität von sogenannten Astrozyten gedeckt. Astrozyten wandeln Glukose in Laktat um, damit es Neuronen aufnehmen können. Dieser Energietransfer durch den Laktat-Shuttle sorgt für die Aufrechterhaltung des Gehirnstoffwechsels bei intensiver körperlicher Belastung. Die Abnahme der Nervenzellaktivität geht dem Leistungsabfall voraus oder, genauer gesagt: Der abnehmende neuronale Stoffwechsel beeinträchtigt sowohl kognitive und motivationale Prozesse im Frontalhirn als auch die Kontraktionsfähigkeit der Muskulatur infolge der verringerten neuromuskulären Ansteuerung. 

Adenosintriphosphat (ATP) ist bekanntlich das universelle Energiesubstrat in allen Zellen des menschlichen Körpers. Das Abbauprodukt von ATP ist Adenosin. Dieses Molekül fördert Müdigkeit. Im Schlaf werden diverse energieintensive Prozesse heruntergefahren. Das Müdigkeitsgefühl ist deshalb die perfekte Strategie, den Energieumsatz im Gehirn zu senken und die Erholung des gesamten Organismus einzuleiten. Adenosin beeinträchtigt den Dopaminstoffwechsel im Gehirn, da es den Adenosin-/Dopamin-Rezeptor für Dopamin blockiert. In Tierstudien konnte eindrucksvoll gezeigt werden, dass dieser Mechanismus Bewegungs motivation und sportliche Leistungs fähigkeit gleichzeitig vermindert. 

ENERGIEVERTEILUNG WÄHREND KÖRPERLICHER BELASTUNG 

Wie gesagt: Sinkt das zerebrale Energielevel, werden nicht nur Muskelkraft und Muskelausdauer, sondern auch Aufmerksamkeit und Reaktionsfähigkeit beeinträchtigt, wodurch sich je nach Trainingszustand früher oder später eine Erschöpfung einstellt. Die ultimative Folge einer körperlichen Überlastung ist Ohnmacht. Hierbei werden nicht überlebenswichtige Funktionen des Körpers abgeschaltet. Damit das nicht passiert, ist das Erschöpfungsgefühl nach dem Motto vorgeschaltet: besser einen Burnout als einen lebensbedrohlichen Absturz der Vitalfunktionen. 

(Mit-)Verantwortlich für das sportinduzierte Müdigkeitsgefühl während langer Ausdauerbelastungen ist auch die gesteigerte Durchlässigkeit der Darmwand, wodurch Wasser und Nährstoffe rückresorbiert werden. Ist die Mikrozirkulation zum Darm durch hohe Trainingsumfänge gestört und gleichzeitig der Darm mit pathogenen Bakterien fehlbesiedelt, können entzündungsfördernde Fragmente abgestorbener Darmbakterien, sogenannte Lipopolysaccharide (LPS), in den Blutkreislauf übertreten und im Organismus Entzündungen auslösen. LPS können auch Immunzellen des zentralen Nervensystems (Mikroglia) aktivieren, die daraufhin ihren Stoffwechsel hochfahren. Dadurch steht diese Energie dem Bewegungsapparat nicht mehr zur Verfügung, was die Leistung herabsetzt. Mikroglia schütten zudem den Entzündungsmarker Interleukin 1-beta (IL-1b) aus. Dieser Botenstoff ist mit Krankheitssymptomen wie Abgeschlagenheit und Appetitlosigkeit assoziiert, die jeder Sportler kennt, der ein Übertrainingssyndrom erlebt hat. 

REGENERATION DURCH ERNÄHRUNG UND SCHLAF 

Zu den Möglichkeiten, eine psychophysische Erschöpfung einzudämmen beziehungsweise den gesamten Organismus zu regenerieren, zählen Nahrungsmittel, sinnvolle Nahrungsergänzungen sowie Frequenz und Timing der Nahrungs aufnahme. Im leistungsorientierten Sport sollte einCoaching daher nicht nur auf die Regeneration des Muskel-Skelett-Apparates abzielen, sondern auch auf die Regeneration der mentalen Performance. 

1) Darmflora 

Die Wiederherstellung einer gesunden Darmflora durch die Gabe probiotischer Bakterien und präbiotischer Lebensmittel (fermentierte Produkte) optimiert nicht nur die Leistungsfähigkeit, sondern auch Infektanfälligkeit, Absorptionskapazität, Entzündungsstatus und antioxidative Kapazität. Eine dysbiotische Darmflora beherbergt hohe Mengen an LPS, wodurch Entzündungsreaktionen ausgelöst werden können. Die Gabe der semi-essenziellen Aminosäure Glutamin hemmt die Darmdurchlässigkeit und senkt die LPS-Konzentration. 

2) Muskulatur 

Die Glutaminsynthesekapazität in der Muskulatur ist höher als die jeder anderen Aminosäure, sodass eine Zufuhr nach Trainingseinheiten und Wettkämpfen für eine adäquate muskuläre Remodellierung sorgt. Da sowohl Darmzellen (Enterozyten) als auch aktivierte Immunzellen Glutamin für sich beanspruchen, kann zellulärer Stress an der Darmwand dafür sorgen, dass der Muskulatur nicht genügend Glutamin zur Verfügung steht. Dies beeinträchtigt die Anpassung an einen Trainingsreiz und die Regeneration nach intensiven Belastungen. 

3) Antioxidative Kapazität 

Akute Belastungen führen zu einer Reduktion zirkulierender Immunzellen (Leukozyten) durch unter anderem hohe Mengen an freien Radikalen. Eine bessere antioxidative Kapazität der Leukozyten durch zum Beispiel Einnahme der Vitamine A/E/C, Cystein, Omega-3-Fettsäuren, Alpha-Liponsäure und Glutathion zögern den programmmierten Zelltod (Apoptose) hinaus. Dadurch werden Entzündungen während und nach intensiven Belastungen reduziert, was wiederum das Erschöpfungsgefühl hinauszögert. Um die Regeneration nicht zu behindern, kommt es auf das Timing der Aufnahme an. Laut neuester Literatur stört die Zufuhr von Antioxidantien während der Belastung Signalwege in Muskelzellen, die für die Anpassung an den Bewegungsreiz wichtig sind. Zudem kann die tägliche Aufnahme von Antioxidantien die mitochondriale Kapazität in der Muskulatur beeinträchtigen. 

4) Gliazellen 

Die als Fischöl bekannte Fettsäure EPA reduziert die von Gliazellen induzierten Entzündungsprozesse.

Hierdurch verbessert sich eine chronische Erschöpfung. Auch hier konnte ein positiver Einfluss einer intakten Darmflora nachgewiesen werden. Eine geringe Diversität schränkt die Funktionsfähigkeit der Gliazellen ein, während eine hohe Bakterienvielfalt im Darm diesen Defekt wieder aufhebt. Die Aufnahme unverdaulicher Ballaststoffe wie Inulin, Fructooligosaccharide und Lactulose sorgt für die Synthese kurzkettiger Fettsäuren im Dickdarm, die entzündungsregulierend wirken. 

5) Schlafhygiene 

Adenosin als schlaffördernde Substanz und Endprodukt des neuronalen Energiestoffwechsels akkumuliert über den Tag in stoffwechselaktiven Gehirnarealen. Intensive körperliche Belastungen stimulieren Müdigkeit durch Erhöhung der Adenosin-Level. Schlechte Schlafqualität vermindert zusätzlich die ATP-Regeneration im Gehirn und beeinträchtigt damit die mentale Leistungsfähigkeit. Ferner fördert eine verringerte Schlafqualität und -quantität Entzündungen, denn das Stresshormon Cortisol unterdrückt die Produktion des Schlafhormons Melatonin. Dies tritt insbesondere nach einer Mahlzeit auf, die reich an einfachen Kohlen hydraten, Omega-6- und Transfettsäuren ist.

Über den Autor Dr. Jens Freese 

 

arbeitet seit über 25 Jahren als Dozent, Wissenschaftler und Ernährungstherapeut mit Patienten und Spitzensportlern. Er ist Gründer der Dr. Freese Ernährungsakademie und des Dr. Freese Instituts für Sport- und Ernährungsimmunologie. In der Fitnessszene hat er über 10.000 Trainer, Therapeuten und Coachs in den Fachgebieten Ernährung, Sportimmunologie, Sporternährung, Stoffwechsel, Diabetes, Stress management, Burnout und Motivation ausgebildet. Der Kölner hat mehrere Bücher veröffentlicht und publiziert regelmäßig zu Ernährungs- und Lebensstil medizinischen Themen in nationalen und internationalen Fachmagazinen. 

# Dr. rer. nat. (Doktor der Naturwissenschaften) 

# Master of Science Clinical Psychoneuroimmunology 

# Diplom Sportwissenschaftler 

# Studium Ernährungstherapie 

# Mikronährstofftherapeut 

# Systemischer Coach 


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